Im Rahmen meiner MBSR Ausbildung befasse ich mich gerade mit dem Thema Kommunikation und das Leben bietet mir genug Anschauungsmaterial. Grundlegende Gutheit ist uns allen zu eigen, keiner sucht willentlich Streit und Leid und doch kommt es in zwischenmenschlichen Beziehungen ganz schnell dazu. Woran liegt das?
Mit dieser Frage habe ich mich heute Nacht sehr intensiv auseinandergesetzt und am Morgen gemeinsam mit meinem Mann darüber reflektiert. Als Menschen sind wir in unserer Wahrnehmung der Welt und unserer Mitmenschen gegenüber leider total unobjektiv, sprich absolut subjektiv. Mit manchen Menschen stellt das kein Problem dar, mit anderen kann sich eine ganze Tragödie daraus entwickeln. Wir sind so sehr gefangen in unserer Sicht der Dinge, dass es uns ganz einfach nicht möglich ist objektiv zu sein. Ohne jegliche böse Absicht, ohne es zu wollen, schlittern wir so immer wieder ins Dilemma. Das ist echt ein Drama und total traurig! Wie viel Leid würden wir uns selbst und anderen ersparen, könnten wir nur über unseren eigenen Tellerrand blicken!
Die gute Nachricht ist, man kann es mehr und mehr lernen. Menschen wie Tara Brach mit der RAIN-Methode oder Byron Katie mit „The Work“ haben großartige und einfache Methoden entwickelt, welche uns helfen – selbst unter größtem Stress und emotionaler Bedrohung – handlungsfähig und vor allem empathisch zu bleiben.
Neurobiologisch finde ich es ja höchst interessant, dass unser Gehirn unter Stress auf Autopilot schaltet und dann nur mehr: kämpfen – flüchten oder erstarren möglich ist. Keine Chance auf die große Bandbreite unserer Weisheit und Intelligenz mehr zuzugreifen, denn wenn das Reptilienhirn aktiv ist, muss es schnell gehen, geht es doch dort ums Umberleben. Was Tara Brach in einem ihrer Vorträge auch so wunderbar beschreibt ist, dass es uns in diesem geistigen Zustand nicht nur nicht mehr möglich ist klar und objektiv zu denken, sondern wir auch nicht mehr in der Lage sind empathisch zu sein. Wir können uns nicht mehr in andere Menschen hineinversetzten. Kein Mitgefühl oder Mitleid entschlüpft mehr unseren Gehirnwindungen, bis wir aus dem fight freeze-flight Zustand wieder ausgespuckt werden.
Gerade jetzt zu dieser Zeit der äußeren Unruhen und Verunsicherungen, lässt sich gut erkennen, wie blank unsere Nerven liegen, wie unendlich gefordert wir gerade sind und was uns gerade alles abverlangt wird. Um so mehr laufen wir Gefahr so starkem emotionalen Druck ausgesetzt zu werden, dass wir in den geistigen Notzustand kommen und unser Hirn in den Alarmmodus wechselt.
Je geübter wir in Achtsamkeit und Selbstreflexion sind, je mehr wir die Gelegenheit haben mit anderen Menschen darüber zu reflektieren, desto mehr Selbsterkenntnis und Handlungsspielraum gewinnen wir. Auch werden wir einfach schneller im Erkennen unserer eigenen Verhaltensstrategien. Es beginnt vielleicht bei einer Art „Wurschtigkeit“, geht weiter zu Ablehnung, bis hin zu Wut, Ärger oder Angriff.
Diese Stadien bin ich heute in der Nacht alle durchlaufen. Mein Kiefer spannte sich an und ich biss die Zähne zusammen, mein Herz raste, wurde hart und versteinert. Und irgendwann kam dann der Augenblick wo ich mir dachte: „Lieber Gott! Um alles in der Welt, lass mich nicht verbittern und hart und böse werden. Lass mich den Schmerz fühlen, den meine Unzulänglichkeit und die Unzulänglichkeit meiner Mitmenschen in mir auslösen! Lass die Tränen über meine Wangen rinnen, damit sie bis auf mein Herz tropfen und es wieder reinigen und gießen, auf dass Heilendes und Freudvolles daraus hervorgehen mag. Für mich und meine Mitmenschen!“